SPD Crailsheim

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Europa – nur etwas für Optimisten?

Veröffentlicht am 29.04.2017 in Kommunalpolitik

Der letzte Artikel aus unserer CR: Unser Fraktionsvorsitzender und unsere Europaabgeordnete Evelyne Gebhardt unterhalten sich im Rahmen unserer Crailsheimer Rundschau über die Europäische Union und ihre Zukunft!

Die EU ist in die Jahre gekommen. Betrachtet man ihre Entwicklung bis heute, kann man dann von einer Erfolgsgeschichte sprechen?

Ja, auf jeden Fall! Die Europäische Union ist eine Erfolgsgeschichte. Nach zwei Weltkriegen und nach Jahrhunderten schlimmster kriegerischer Auseinandersetzungen leben wir heute in Frieden. Dies ist das Resultat der europäischen Einigung. Dass einstmals verfeindete Völker heute unter dem Dach der Europäischen Union versöhnt zusammenleben, sucht in der Menschheitsgeschichte seines Gleichen.

Du bist seit weit über 20 Jahren Mitglied des EU-Parlaments und seit kurzem dessen stellvertretende Präsidentin. Welche Ängste, welche Hoffnungen bestimmen Deine Gefühle für Europa ganz persönlich?

Das Vertrauen in Europa hat massiv gelitten. Die EU wird oft als technokratisch, marktorientiert und bürgerfern wahrgenommen. Deshalb gilt es, das Projekt des vereinten Europas als Garant von Frieden, Sicherheit und einer besseren Zukunft mit neuem Leben zu füllen. Zur Lösung der aktuellen Probleme brauchen wir eben nicht weniger Europa, sondern mehr Europa. Den größten Entwicklungsbedarf sehe ich in Sozialpolitik und Außenpolitik. Hier brauchen wir eine gemeinsame Politik auf europäischer Ebene und eben weniger nationale Alleingänge.

Was ist Deine persönliche Vision von Europa?

Meine persönliche Vision sind die Vereinigten Staaten von Europa: rechtsstaatlich, demokratisch und bürgernah. Die Vereinigten Staaten von Europa schützen und fördern die kulturelle Vielfalt als Basis der europäischen Identität. Die Vereinigten Staaten von Europa sind aufgrund von Steuereinnahmen und einem eigenen Haushalt handlungsfähig. Das Parlament wird von allen europäischen Bürgerinnen und Bürgern einheitlich und direkt gewählt. Es wählt die Regierung und verfügt, wie der Rat als Vertretung der Mitgliedsstaaten, über das Recht zur Gesetzesinitiative. Hinzu kommen Elemente der direkten Demokratie und eine breite Bürgerbeteiligung.

Der Brexit beschädigt die europäische Idee. Wie weh tut er und wie kann es weiterhin eine gemeinsame Basis mit Großbritannien geben?

„Brexit hin oder her – Ich werde immer Europäerin bleiben“, so äußerte sich eine britische Fraktionskollegin am Tag der Beantragung des Austritts. Die emotionalen Reaktionen unserer Labour-Kollegen ließen uns natürlich nicht kalt.
Nun läuft eine zweijährige Frist zur Aushandlung des Austrittsvertrages. Er wird die Grundlage der zukünftigen Beziehungen des Vereinigten Königreiches und der EU bilden. Hier muss konsequent verhandelt werden. „Rosinenpickerei“ für die Briten darf es nicht geben. Versprechungen der Brexit-Befürworter, man könne z.B am EU-Binnenmarkt teilnehmen ohne gleichzeitig die Grundfreiheiten der Bürger*innen zu achten, sind eine Illusion und kommen nicht in Frage.
Die jungen Briten haben übrigens mit großer Mehrheit gegen den Brexit gestimmt. Diese Generation sieht ihre Zukunft in Europa.
Umso härter treffen sie nun die Folgen der Abstimmung. Womöglich findet wieder eine Annäherung an die EU statt, wenn diese Generation einmal politische Verantwortung übernimmt.
Auch die innenpolitischen Folgen auf den Inseln sind noch nicht absehbar. Letztendlich zeigt die aktuelle Debatte allen Europäern, welche Vorteile die EU-Mitgliedschaft für einen Staat bringt und dass diese Errungenschaften keine Selbstverständlichkeit sind.

Nun ist England nicht die einzige traurige Entwicklung. Wie die Wahlen in Frankreich ausgehen, weiß niemand. Rechtspopulisten wie Le Pen, Orban, AfDler, u.a. schüren die Stimmung gegen Europa und sind dabei auch nicht zimperlich. Wie können bzw. müssen überzeugte Europäer mit deren Zielen umgehen?

Wir überzeugten Europäer dürfen in der aktuellen Diskussion nicht den Europa-Feinden das Feld überlassen, sondern müssen unsere Ideen, unsere Werte und und die Vision eines vereinten Europas stärker denn je nach außen tragen und offensiv kommunizieren.

Lange Zeit dachten viele, Nationalismus und Krieg könnten Tabus in Europa werden. Aber da gibt es den Zündler Putin, dessen Aktivitäten in Südosteuropa die dortigen Beitrittskandidaten verunsichern. Hier stellt sich die Frage: Muss nicht mehr für eine glaubwürdige EU-Perspektive auf dem Balkan getan werden?

„Europas Zukunft entscheidet sich am Balkan“ – was schon im 20. Jahrhundert galt, ist heute aktueller denn je. In den vergangenen Jahren haben die Beitrittskandidaten große Schritte gemacht. Es steht aber noch viel Reformarbeit an. Ein überhasteter Beitritt hilft aber weder den Balkanstaaten noch der EU angesichts ihrer aktuellen Herausforderungen. Wichtiger ist, dass die EU zunächst die weitere Konsolidierung in den Staaten stärker unterstützt und ihnen so eine klare und ehrliche Perspektive bietet. Hierdurch würde die EU ein klares Signal nach außen senden, dass sie diese Region nicht aufgibt. Denn sie ist ein zentraler Teil Europas.

Dann ist da noch das überschuldete Griechenland. Handelt die EU hier solidarisch genug?

Die sozialdemokratische Fraktion im  Parla-ment befürwortet seit Beginn der Krise eine Lösungsstrategie, die sowohl wirtschaftliche als auch soziale Probleme zu lindern versucht. Die notwendigen Eingriffe dürfen nicht, wie bislang oft geschehen, soziale Nöte ausblenden. Um einen nachhaltigen Kurs einschlagen zu können, muss im Gegenzug für fortgesetzte Reformen auch die griechische Schuldenlast reduziert werden. Ein Grexit hingegen brächte die gesamte EU nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch in größte Turbulenzen.

Bleibt die Türkei aus Deiner Sicht nach den Vorkommnissen in der letzten Zeit ein EU-Beitrittskandidat?

Die Entwicklungen in der letzten Zeit verfolge ich mit großer Sorge. Wenn die Türkei den von ihrem Präsidenten eingeschlagenen Weg fortsetzt, schwindet die Perspektive für einen EU-Beitritt. Sollten dort Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit weiter beschnitten werden, so muss die EU ihre Beziehungen mit der Türkei neu ausrichten. Dies sind wir unserer eigenen Glaubwürdigkeit als Wertegemeinschaft schuldig.

Es wurde Zeit für eine europäische Bewegung. „Pulse of Europe“ ist eine. Wie betrachtest Du die Bewegung und ihre Aktivitäten?

Ich freue mich sehr, dass Menschen ganz bewusst auf die Straße gehen und für Europa Flagge zeigen. Insbesondere junge Menschen sind dabei. Sie sehen, dass in der EU nicht alles perfekt ist. Aber ihre Antwort darauf ist eben nicht, die europäische Idee aufzugeben, sondern ein besseres Europa zu schaffen! Eine europäische Bewegung existiert bereits seit Jahrzehnten. Dem 1949 gegründeten Netzwerk Europäische Bewegung Deutschland e.V. gehören 248 Mitgliedsorganisationen an. Eine davon ist die Europa-Union Deutschland e.V., deren Landesvorsitzende ich bin. Diese ist Deutschlands größte Bürgerinitiative für ein vereintes Europa. Sie ist überparteilich und politisch unabhängig organisiert und in mehr als 30 europäischen Ländern vernetzt.
Wünschenswert wäre, dass sich die Begeisterung der Straße und die Aktivitäten in Sozialen Medien für Europa auch in verstärktem Engagement für Organisationen oder Parteien niederschlagen. Dies brächte einerseits frischen Wind und andererseits den motivierten Aktiven die Möglichkeit, ihre Ideen zu kanalisieren und in die politischen Prozesse einspeisen zu können.

Gibt es die Idee einer europäischen Verfassung noch oder ist sie im Orkus verschwunden?

Die Weiterentwicklung der Europäischen Union vom Staatenverbund zu einer echten politischen Union mit einer Verfassung ist für mich ein langfristiges Ziel. Viele wichtige Punkte der geplanten europäischen Verfassung wurden nach deren Scheitern bereits im Vertrag von Lissabon umgesetzt.

Du bist seit kurzem stellvertretende Präsidentin des EU-Parlaments. Wie müssen wir uns Deine tägliche Arbeit vorstellen?

Der Kalender des Europäischen Parlamentes weist über 40 Sitzungswochen auf. Dies sind zum einen Wochen, in denen die Parlamentsausschüsse und Fraktionen in Brüssel tagen, zum anderen so genannte Plenarwochen. Letztere finden mindestens zwölfmal im Jahr in Straßburg statt. Die restlichen Wochen sind für die örtliche Arbeit vorgesehen. Diese erstreckt sich auf ganz Baden-Württemberg.
Als Vizepräsidentin vertrete ich den Präsidenten des Europäischen Parlamentes bei der Ausübung seiner Pflichten, einschließlich der Leitung der Plenarsitzungen. Jeder hat unterschiedliche Zuständigkeitsbereiche, bei mir sind dies u.a.: Informatik/Telekommunikation, Maßnahmen und Strategien im Bereich Sicherheit, Vermittlungsverfahren, wie auch die Gleichstellung der Geschlechter und der Vielfalt.

 
 

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