Kreisvorsitzender Nikolaos Sakellariou zur Situation der SPD

Veröffentlicht am 01.12.2017 in Pressemitteilungen

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Genossinnen und Genossen,

 

ich bin gebeten worden, meine Gedanken zur aktuellen Situation der SPD aufzuschreiben. Das will ich in dieser aufgeheizten Situation gerne tun – mit dem Hinweis, dass wir alle – also auch ich – derzeit nur Gefühle, Erwartungen und Ängste beschreiben und bedienen können. Wir haben keine Fakten, an denen wir uns als „sichere Gewissheiten“ entlang hangeln können.

 

Ich selbst bin strikt gegen einen Wiedereintritt der SPD in eine sog. große Koalition mit der CDU/CSU!

Das kann ich auch begründen: Wenn wir erneut in eine solche Regierungskoalition gehen, würde das am Ende der kommenden vier Jahre bedeuten, dass Deutschland dann im Jahr 2021 in 12 von 16 Jahren der Kanzlerschaft von Merkel durch eine GroKo regiert worden wäre.

Warum wäre das so schlimm?

Nach allen fachlichen Auswertungen der Bundestagswahl 2017 gab es einen zentralen Grund für das schlechte Abschneiden der SPD: Die fehlende Unterscheidbarkeit von SPD und CDU für die Bürgerinnen und Bürger. Das aber ist die logische Folge von großen Koalitionen. Wenn man zurückschaut, wie wir zurecht froh waren, dass wir mitregiert haben, als die Bankenkrise, die Griechenlandkrise und die Flüchtlingskrise über Deutschland gefegt sind. Denn ohne unsere Ministerinnen und Minister wären die Ergebnisse für die Menschen in Deutschland sehr viel schlechter gewesen.  Das ist unser Verdienst. Das ist der Verdienst der SPD. Auch die Sozialreformen, die noch unter Vizekanzler Franz Müntefering in der ersten GroKO angestoßen wurden (und jetzt für die aktuelle Prosperität, die den Menschen nutzt, verantwortlich ist), wurden „gemeinsam“ umgesetzt.

Aber diese „Gemeinsamkeiten“ bei der Überwindung und sozialen Abfederung von globalen Krisen in den vergangen Jahren haben auch zu Kollateralschäden geführt: Der Eindruck von „Alternativlosigkeit“ zu den Lösungen der GroKO hat vor allem die politischen Ränder gestärkt – und ich gehe sogar noch weiter: Die GroKO hat die AfD als „einzige“ Alternative (bspw. bei der Banken- und Eurokrise) sichtbar gemacht und durch die Flüchtlingskrise ist dann dieses Sammelbecken vollends „übergelaufen“ bis es schließlich so stark wurde, dass sie es in den Bundestag geschafft hat und dort erstmals seit dem Krieg auch Leute sitzen, die ein sehr gestörtes Verhältnis zu unserer Vergangenheit haben.

Ich bin der festen Überzeugung, dass unsere Gesellschaft wieder zwei gegensätzliche Pole und Lösungsansätze bei der Bewertung und Entscheidungsvorbereitung der erforderlichen Weichenstellungen braucht. Im angelsächsischen Raum wird das über das Wahlsystem (Mehrheitswahlrecht) gelöst. Das Sieben-Parteien-System kann das nur schwer leisten, weil da die Profilierung und Abgrenzung nur im „Klein-Klein“ verläuft und verlaufen muss und eben nicht entlang den großen Linien. Das ist die Aufgabe der SPD. Dieser Aufgabe kann die SPD aber sicher nicht als Juniorpartner in einer (erneuten) GroKo schaffen. Das geht nur in zwei Rollen: Als Regierungspartei, die den Kanzler (m/w) stellt oder in der Opposition. Wenn es nicht schon so verbraucht wäre, würde ich gerne ein „basta!“ anfügen.

Leider hat unsere Parteiführung in dieser Gemengelage schwere Fehler gemacht. Die in Stein gemeißelte Festlegung am Wahlabend: „keine GroKO!“ hat der geschundenen Seele der gebeutelten und erschöpften SPD-Wahlkämpfer (m/w) gutgetan und sie - wie ein Schmerzmittel - für den Moment von der verheerenden Wahlniederlage abgelenkt. Die Basis darf und durfte sich darüber freuen. Von einem Parteivorsitzenden der SPD darf man aber mit Recht erwarten, dass er in dieser Situation weiterdenkt – auch wenn er dabei einsam bliebe. Das ist die Aufgabe eines Chefs. Mein Eindruck: Martin Schulz – der bis auf seine Zeit als Bürgermeister - nicht regiert hat, ist ein Großmeister im Aufgreife von Stimmungen auf Parteitagen. Er weiß genau, wann er den „Linken“ etwas geben muss, wann den „Rechten“ in der SPD und welchen Posten die „Frauen“ brauchen, um ihn anderer Stelle zu stützen und er ist ein Großmeister des Formelkompromisses nach Vorstandssitzungen.

Nur diese Formeln als Ergebnis unserer Politik treffen wir auf eine Bevölkerung, von der gerade mal 3 % in politischen Parteien Mitglied sind. Davon wieder nur ein ganz kleiner Teil auch aktiv. Das bedeutet aber, dass (mindestens) 97 % der Bevölkerung mit Aussagen nichts anfangen kann, mit denen man auf SPD-Parteitagen in erste Linie „Flügel“ und „Untergruppierungen“ befriedet und dies dann als Erfolg verkaufen kann.

Hinzu kommt – und das war der Fehler sowohl von Martin Schultz als auch von Andrea Nahles: Sie hatten keinen Plan B, für den Fall, dass Jamaika platzt. Das unterscheidet beide von Herrn Lindner von der FDP: Solange „wir uns täglich an unserer einmütigen Ablehnung der GroKO berauscht haben“ und jeden Tag besoffener waren, wusste Lindner, was er macht, wenn – wie von ihm geplant – Jamaika platzt: Er wollte beides: Jamaika töten und so der FDP so ein ganz neues Profil verschaffen und  zugleich seinem Erzfeind – der SPD – den Todesstoß versetzen, indem er uns in die Falle hat laufen lassen: In die Falle der GroKO, die wir so vehement abgelehnt haben. Ganz ehrlich: diese Falle hätte ein Parteichef aber auch die neue Fraktionschefin „wittern“ müssen und beide hätten vorbereitet sein müssen.

Diese subjektive Analyse ist allerding nur rückwärtsgewandt, muss aber (personelle) Konsequenzen haben, nachdem wir nun, egal was wir machen (GroKO, Minderheitsregierung tolerieren oder Neuwahlen) verlieren werden und zwar richtig und auch noch an der falschen Stelle – nämlich an unserer Glaubwürdigkeit. Denn unsere politischen Gegner haben die Zwickmühle – bei der er mit jedem Zug eine bestehende Mühle öffnet und dabei gleichzeitig eine offene Mühle geschlossen wird. Was das für uns bedeutet, kenne alle Mühle-Spieler. Ab sofort wird uns für sehr lange Zeit nicht mehr geglaubt werden. Wie lange das dauern kann sieht man an zwei vergleichbaren Fällen:

Noch heute sind im kollektiven Bewusstsein zwei Ereignisse festgefressen, die nachwirken: Als die SPD eine Mehrwertsteuererhöhung ausgeschlossen hat und dann mit dem Eintritt in GroKO dann diese um drei Prozent erhöht hat (2005). Oder der Bruch des Versprechens, nicht mit den Linken in Hessen zu regieren (2008), durch die Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti. Ein drittes Mal ist so ein Vertrauensverlust nicht mehr – auch nicht durch noch so viele Regionalkonferenzen - aufzuarbeiten. Ein Blick ins Ausland zeigt: Auch die Sozialdemokratie ist sterblich! In Griechenland, Italien und Frankreich sind die vormals so stolzen (und erfolgreichen) Sozialdemokratischen Parteien heute nur noch Splittergruppen!

Und ein Blick nach Österreich zeigt auch, wie langanhaltende Große Koalitionen Rechtspopulisten so hoffähig machen, dass sie letztlich sogar in Regierungsverantwortung landen – in Österreich wird während wir diskutieren an einer echten (schwarzbraunen) Haselnusskoalition zwischen ÖVP und FPÖ gearbeitet!

Ich glaube fest daran, dass eine erneute große Koalition dazu führen würde, die Ununterscheidbarkeit zwischen SDP und CDU zu verschärfen – mit den entsprechenden nachteiligen Folgen für die politischen Ränder. Dass diese GroKo dann vier Jahre lang von einer AfD als stärkster Oppositionspartei angegriffen werden würde, führt ganz sicher zu deren weiterer Stärkung. Die AfD hat jetzt professionelle Zuarbeiter und hätte in dieser Rolle vier Jahre lang ganz andere Aufmerksamkeit.

Da es die vornehmste Aufgabe der SPD ist, die Demokratie zu stärken und nicht deren Gegner im Parlament, ist es unsere staatspolitische Verantwortung, dies aus der Opposition heraus zu tun.

Nachdem Neuwahlen derzeit von uns weder ehrenamtlich noch finanziell geleistet werden können, fällt auch diese Option aus meiner Sicht vollständig aus. Sie wäre zudem ein echtes Armutszeugnis und es besteht die ganz große Gefahr, dass sich nachher wieder nur zwei Regierungsoptionen ergeben: Jamaika oder GroKO. Und dass wäre dann der (vorhersehbare) SuperGAU!

Damit bleibt nur eine Option: Eine Minderheitsregierung! Diese Form sieht unser Grundgesetz ausdrücklich vor. Also kann sie so schlecht nicht sein. Sie ist nur eines: Für die amtierende Kanzlerin mit erheblichem Mehraufwand und Unsicherheit verbunden. Sie – die Kanzlerin - müsste sich in allen politischen Feldern (außer Europa, Außenpolitik und bestimmten Haushaltspositionen) bei jedem Punkt die Mehrheiten „abkaufen lassen“ – auch von uns. Warum denn eigentlich nicht? Warum nicht den Parlamentarismus erstmals in den Mittelpunkt stellen? Warum nicht vier Jahre lang regelmäßige Spannung, welche Mehrheit sich zu den aktuellen Lösungsansätzen im Parlament findet?

Vielleicht ist gerade diese zusätzliche Spannung für vier Jahre der Startpunkt für eine „Mehr an Demokratie“ in Deutschland, mit der Willy Brandt diese Republik verändert hat und in der Positionen wieder deutlicher mit den verschiedenen Parteien (bei den wechselnden Mehrheiten) verbunden werden und Populisten nach und nach ihren Charme verlieren.

Ich halte das für eine realistische Chance und eine wünschenswerte Option.

 

Mit solidarischen Grüßen

Ihr und Euer

Nikolaos „Nik“ Sakellariou

SPD Kreisvorsitzender

 

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